Geschichte der Schule

Lasst die Schule im Dorf

Evinghausen – das war im Jahre 1970 noch ein kleines abgelegenes Dorf im südlichsten Zipfel des Landkreises Bersenbrück, unmittelbar in Nachbarschaft der Kreise Wittlage und Osnabrück. Evinghausen als kleines Streudorf war so gut wie unbekannt. Seine Höfe und Kotten liegen weit verstreut in der lieblich gewellten Landschaft des ausgehenden Wiehengebirges. Es gehört zum Kirchspiel Engter. Bis zur Gemeindereform 1972 ist es eine kleine, selbstständige Gemeinde mit alteingesessenen Familien und gediegener bäuerlicher Tradition. Heute gehört Evinghausen zur Stadt Bramsche und damit zum Landkreis Osnabrück. Die bäuerliche Struktur und die liebliche Landschaft sind geblieben, durch die – auch baulich markante – Waldorfschule inzwischen ein auch in Kreis und Stadt Osnabrück bekannter Flecken.

Die Dorfschule

Im Jahre 1904 hatte sich die Gemeinde eine eigene Schule erkämpft, welche aus den Bruchsteinen des gemeindeeigenen Steinbruchs erbaut wurde. Ein Schulhaus mit einem einzigen Klassenraum und der Lehrerwohnung entstand. Bis zu 80 Schulkinder waren es damals, um 1960 dann nur noch 30. Dem bildungspolitischen Hang der Kultusverwaltung konnte eine solche „Zwergschule“ nicht standhalten. Der Lehrer Heinz Inderbiethen, der im letzten Jahrzehnt die Evinghäuser Kinder unterrichtete, arbeitete aus freiheitlichen Erziehungsimpulsen und wusste, wie eine gesunde Erziehung auf dem Boden der lokalen Verhältnisse wachsen und gedeihen konnte. Diese Einsicht wuchs aus einer Vertrautheit mit der Waldorfpädagogik. Er überzeugte die Bürger von der Notwendigkeit des Erhaltes einer Schule in Evinghausen – wenn nicht mehr als Dorfschule, dann als freie Schule auf der Grundlage der Pädagogik Rudolf Steiners. Die Evinghäuser Landwirte, voran der hochverdiente alte Bürgermeister Heinrich Bruning, und die Gemeinderäte machten sich mit ihm entschlossen an die Arbeit und griffen bei allem tatkräftig  zu. Die Waldorfpädagogik hatte auch im Umkreis von Osnabrück Freunde gewonnen, die hochherzig das Gemeinwohl über ihre eigenen Interessen setzten und die ersten finanziellen Mittel zur Verfügung stellten. Mit Beginn des Schuljahres 1970/71 konnte die FREIE SCHULE EVINGHAUSEN ihre Arbeit aufnehmen.

1970–1976

Der Beginn der Schule im August 1970 konnte in einem ersten Interimsbau erfolgen, der dank der praktisch-tatkräftigen Hilfe der Bürger und Eltern in kürzester Zeit erstellt wurde. Die Eltern und ein uneigennütziger Freundeskreis um die Schule, allen voran der dann langjährige Schatzmeister des Schulvereins, Günther Wulff, hatten auch die finanziellen Hürden bewältigt, obwohl es für die ersten drei Jahre der Schule keine staatlichen Zuschüsse gab. Kaum war der Interimsbau bezogen, musste aufgrund des Andranges die Schule erweitert werden – der zweigeschossige „Conti“-Bau schloss sich an. 1974 wurde die Freie Schule Evinghausen Mitglied im Bund der Freien Waldorfschulen und wurde zur FREIEN  WALDORFSCHULE  EVINGHAUSEN. Zum Ende des Schuljahres 1974/75 war die Zahl der Schüler so gewachsen, dass man ab Sommer 1975 an den inneren und äußeren Aufbau der Oberstufe gehen, also über das 9. Schuljahr hinaus planen konnte. Zu dem bis dahin kleinen Kollegium kamen zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer neu hinzu, die dann der pädagogischen Arbeit ihr Gepräge gaben. Durch das Wachstum der Schule war es auch nicht mehr länger möglich, die Schulvereinsarbeit nur ehrenamtlich zu bewältigen, so dass ein Geschäftsführer hinzukam.

1977–1983

Diese Jahre waren gekennzeichnet durch den Bau des neuen Schulgebäudes, das von allen Beteiligten mehr Kräfte erforderte, als sie je geahnt hatten. Heute steht der Neubau, seit Anbeginn liebevoll „Arche“ genannt, als sichtbares Zeichen in der Evinghäuser Landschaft – gestaltet vom Stuttgarter Architekten Rex Raab, einem der führenden anthroposophischen Architekten nach 1945, der zugleich als Werklehrer an der Waldorfschule Engelberg tätig war. Da die Schule zu den Baukosten von ca. 7 Mio. DM vom Land Niedersachsen keine Investitionshilfen bekam, konnten die großen finanziellen Nöte aus einem solchen Bauvorhaben am Ende nur durch eine beispiellose Hilfsaktion der Eltern und Freunde sowie der Stadt und des Landkreises Osnabrück gemildert werden. Trotzdem musste die Hälfte der Kosten durch einen langfristigen Bankkredit 'gestreckt' werden. Neben diesem äußerlich sichtbaren Aufbau vollzog sich im Innern der Aus- und Aufbau. Allmählich konnten alle Unterrichtsfächer mit qualifizierten Fachkollegen besetzt werden, das Unterrichtsangebot wurde vielseitig und stabil.
Eine Schulküche sorgt jetzt zwischen Vor- und Nachmittagsunterricht für das leibliche Wohl von Kindern und Lehrern. Mit dem Kindergarten wuchs die Schule aber auch 'nach unten'. Der Waldorfkindergarten wurde fester Bestandteil. Mit seinen zwei Gruppen fand er in dem schönen Fachwerkhaus auf dem Schulgelände eine kindgemäße Heimstatt.

1984–1990

Als Waldorfschule hatte sich Evinghausen inzwischen einen festen Platz mit ca. 400 Schülern und 40 Kindergartenkindern im Bildungsangebot der Region gesichert. Nach der Festigung der Waldorfschule konnte man sich jetzt auch verstärkt weiteren Aufgaben widmen. In Evinghausen entstand ein Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft, wo die geistigen Grundlagen der Arbeit gepflegt werden können. Aus der Vorbereitung im Kollegium Evinghausen entstand in Bramsche-Hesepe für jugendliche Arbeitslose die Freie Berufsbildungsstätte DIE BRÜCKE Bramsche e.V., die mit 50 bis 100 betreuten Jugendlichen zu einer bedeutenden und wegweisenden berufsbildenden Ausbildungsstätte im Bezirk Weser-Ems wurde. In Osnabrück entstand ein weiterer Waldorfkindergarten. In unmittelbarer Nachbarschaft in Evinghausen gründete sich der JOHANNESHOF als Heil- und Erziehungsinstitut für Seelenpflegebedürftige – heute ist die JOHANNES-SCHULE EVINGHAUSEN eine anerkannte sonderpädagogische Schule. Im weiteren Umkreis der Schule entstanden Betreuungseinrichtungen, Waldorfkindergärten in Melle und später in Diepholz, biologisch-dynamisch arbeitende Höfe und andere Einrichtungen, die das Bildungsangebot einer Waldorfschule sinnvoll ergänzen.

1991–1995

Die Entwicklung vollzog sich in mehreren Richtungen.

· Der Sozialbau mit seinem schön geschwungenen Dach entstand zwischen Linde, Parkplatz und Straße. Er beherbergt den Bürotrakt, eine Bücherstube und eine geräumige, gemütliche Teestube.

· Ganzheitliche Bildung ist das Bildungsziel der Waldorfschule. Ende der achtziger Jahre gab es – nachdem die bei Schulgründung besonders in diese handwerkliche Richtung zielenden Anfangsimpulse im Laufe der Jahre etwas in Vergessenheit geraten waren – einen erneuten Vorstoß, diesen Bedürfnissen des Kindes und Jugendlichen durch ein ergänzendes Bildungsangebot besonders Rechnung zu tragen. Es ging vor allem darum, den Anteil des handwerklichen Unterrichts zu verstärken. So sollte der junge Mensch in seinen kognitiven, künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf besondere Weise geschult werden.

· Im hinteren Schulgelände wurden zwei Werkstätten errichtet, eine Holzwerkstatt und eine Schmiede, und zwar wesentlich durch die Eigenleistung einiger Oberstufenklassen. Sie dienen den handwerklich-künstlerischen Nachmittagsepochen, die zur stärkeren willensmäßigen Aktivierung der Schüler für die Klassen 7 bis 10 eingerichtet wurden. Hier wechseln Werken, Schreinern, verschiedene Handarbeiten, Schneidern, Buchbinden, Metallarbeit einschließlich Schmieden und Elektrotechnik im Laufe des Jahres miteinander ab.

· Für die Abiturvorbereitung, die einige Jahre im eigenen Haus stattfand, war man zu einer Zusammenarbeit mit den Waldorfschulen Hannover und Münster gekommen, da an diesen großen Schulen günstigere Bedingungen im Kursangebot herrschen.

· Der in Osnabrück arbeitende Kindergarten erwies sich als räumlich zu beengt und nicht erweiterungsfähig. Da andererseits der Bedarf an Waldorfkindergarten-Plätzen in der Stadt wuchs, entschloss man sich zu einem großzügigen Neubau, in dem schon bald drei Gruppen arbeiteten. Eine davon wird als integrative Gruppe geführt.

· In den großzügig geplanten Räumlichkeiten dieses neuen Kindergartengebäudes konnte in den Jahren von 1995 bis 2007 ein „Berufsbegleitender Kurs für Waldorfpädagogik“ dem Wunsch vieler Interessenten nach einer Waldorflehrer-Ausbildung entsprechen. Als „Rudolf-Steiner-Haus“, Langenkamp 13 A, steht dieses Gebäude mit einem schönen Saal auch anderen Veranstaltungen offen.

1995–2001

Diese Jahre waren geprägt von intensiven Diskussionen um das pädagogische Konzept und seine Ausformung:

· Grundlegende Pläne, nach dem Ende einer künstlerisch-handwerklichen Grundbildung in Klasse 10 in eine Spezialisierung einzutreten wurden in den Jahren 1995-1997 intensiv erarbeitet und diskutiert. Erste Schritte auf eine Zusammenarbeit mit externen Betrieben wurden gemacht. Über eine Ausweitung der Praktika (drei in Klasse 11 und zwei in Klasse 12) sollte – zumindest der große Teil einer Ausbildung erworben werden können. Es stand das Ziel im Vordergrund, neben dem schulischen, allgemeinbildenden auch einen beruflichen Abschluss zu erwerben. Die letztendlich vollständige praktische Umsetzung dieser zweiten Stufe wurde aufgeschoben.
Es blieb die Möglichkeit, sich in der 11. Klasse in Wahlkursen in einzelnen Gewerken zu vertiefen und zu spezialisieren. Hinzu trat ab dem Jahre 1998 eine Änderung im Praktikum der 11. Klasse. An Stelle des Industriepraktikums traten zwei Berufspraktika, eines zu Beginn der 11.Klasse, ein weiteres zwischen Ostern und Pfingsten. Beide Praktika sollten – um eine vertiefende Erfahrung zu ermöglichen – in demselben Betrieb absolviert werden und Kontakte für eine berufliche Grundbildung herstellen.  Die Erfahrungen mit diesen Praktika sind durchweg positiv. Die solide handwerkliche Grundbildung unserer Schüler wird gelobt, die breite künstlerisch handwerkliche Bildung sehr positiv anerkannt.

· Immer wieder wurde die Frage der Klassengröße erörtert. Neben vielen Anmeldungen, die aufgrund einer begrenzten Klassengröße abschlägig beschieden werden mussten, gab es den Wunsch sowohl im Kollegium als auch in der Elternschaft, die Klassengröße zu verringern und mit zwei Parallelklassen zu arbeiten. Eine Schulgründungsinitiative in Osnabrück schien vorübergehende Entlastung zu bringen. Als diese allerdings scheiterte wurden die dort bereits aufgenommenen Kinder von Evinghausen im Jahre 1998 als sogenannte „Balkonklasse“ (erstmalig zwei Klassen in einem Jahrgang) übernommen und in den folgenden Jahren die Möglichkeit der Zweizügigkeit intensiv erarbeitet. 2001 fiel dann die endgültige Entscheidung zur Zweizügigkeit. Jeder Jahrgang sollte ab dem Schuljahr 2001/2002 mit zwei Klassen mit höchstens 24 Schülern geführt werden.

· Im Jahre 2000 wurde die Teestube zur „Neuen Bücherstube“ mit Cafe in privater Trägerschaft.

Ab 2001

Der Entschluss zur Zweizügigkeit machte eine neue Bauphase nötig. Ein Baukreis plante die Veränderung und Erweiterung der Gebäude. Zunächst wurden alle vorhandenen Ressourcen ausgeschöpft. An die Holzwerkstatt wurde z. B. eine Plastizierwerkstatt angebaut, der Plastizierraum wurde zum Klassenraum (2004). Es konnte ein angrenzendes Grundstück erworben werden, der dort befindliche Schweinestall wurde abgerissen und ein neues Unterstufengebäude für die Klassen 1 bis 3 errichtet (2005). Im gleichen Jahr gab es im Rahmen der Dorferneuerung eine Neugestaltung von Parkplatz und Bushaltestelle. Im Jahre 2007 wurde das älteste Gebäude, der sogenannte „Contibau“ abgerissen, da die Bausubstanz schon sehr marode war, der zweite, massivere Teil des ersten Schulgebäudes wurde saniert und ein Mittelstufengebäude an Stelle des „Contibaus“ neu errichtet. Im Schuljahr 2008/2009 erhielt die Schule erstmalig Fördergelder aus Bundesmitteln (IZBB). Das pädagogische Konzept wurde hin zur Ganztagsschule erweitert. In diesem Rahmen wurde ein neben dem Unterstufengebäude befindliches Bauernhaus saniert und die fehlenden Fach- und Werkräume ausgebaut, die Schulküche wurde erweitert, ein Gartenbauhaus sowie im Rahmen der allgemeinen Bemühungen um Vorkindergartenplätze ein „Zwergenhaus“ für eine solche Gruppe errichtet. Parallel endete das 'Öl-Zeitalter', da der alte Ölkessel den Bestimmungen nicht mehr entsprach. In Verbindung mit einem neuen Curriculum zur Nachhaltigkeit im Rahmen eines Projektes der „Deutschen Bundesstiftung Umwelt” (DBU) wurde am 30.10. 2008 eine Holzhackschnitzelheizung in Betrieb genommen, die durch einen Kooperationsvertrag mit den umliegenden Land- und Forstwirten das Schwachholz aus der Region als Brennstoff verwertet.

· Durch die vielen neuen Gebäude wurde eine eigentlich schon lange anstehende Gesamtbeplanung des Geländes dringlich. Zwei Studenten der FH Osnabrück (eine davon ehemalige Schülerin) setzten eine solche Gesamtplanung in ihrer Diplomarbeit um. Es wurden Aspekte anthroposophischer Landschafts- und Schulhofgestaltung erarbeitet und daraus eine „behutsame Gesamtplanung entwickelt, die Ansprüche und Wünsche der Schüler, Lehrer und Eltern berücksichtigt, darüber hinaus aber auch den Bildungsauftrag einer Waldorfschule einbezieht, den sie nach eigenem Anspruch formuliert und das Ganze mit der natürlichen und gewachsenen Umgebung verbindet.“ Dieses Planungsergebnis wurde durch Konferenzbeschluss zur Grundlage für zukünftige Gestaltungen des Geländes.

· Eben noch ein Neubau wird die Arche nach 30 Jahren zu einem energetischen Sanierungsfall. In einem ersten Sanierungsabschnitt wurde 2012 das Dach und einige Jahre vorher schon die große Turnhallenfensterfront saniert. In den folgenden Jahren werden nach und nach die Klassen- und Fachräume renoviert. Im Jahre 2014 konnte endlich auch die lange geplante Neugestaltung der naturwissenschaftlichen Räumlichkeiten beginnen, die größere Umbauten in der „Arche“ erforderlich macht.

· Im Jahre 2007 wird die „Neue Bücherstube“ durch eine neue Besitzerin zum „Steckenpferd“.

· Ab dem Schuljahr 2002/03 wurde die  Abiturzusammenarbeit an die Freie Waldorfschule Oldenburg verlagert, wo inzwischen gemeinsam mit der Waldorfschule Cuxhaven eine gezielte Vorbereitung auf das Zentralabitur erfolgt.

· Als im Schuljahr 2005/06  in Niedersachsen das Zentralabitur eingeführt wurde, waren wir gezwungen – um unsere Schüler nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen –, für die Schüler, die das Abitur anstreben, das zweite Berufspraktikum wieder abzuschaffen und in dieser Zeit einen der vorgegebenen Themenschwerpunkte zu bearbeiten. Im Rahmen einer Neufassung der Abschlussverordnung wurde in den Waldorfschulen in Niedersachsen die 12. Klasse zum ersten Jahr der Qualifikationsphase umgewandelt. Dieses bedeutete weitere Einschnitte in das waldorfpädagogische Curriculum (insbesondere für Fächer wie Kunst und Handwerk), auf der anderen Seite aber auch eine adäquatere Vorbereitung der Schüler auf die Anforderungen des Zentralabiturs. Dabei kam uns unsere Zweizügigkeit zugute, da wir nun nach der 10. Klasse eine Neuaufteilung der Klassen in eine Abiturvorbereitungsklasse und eine Realschulklasse mit starker beruflicher Ausrichtung vornehmen konnten. An der pädagogischen Ausgestaltung der Realschulklasse wird augenblicklich intensiv gearbeitet.

· Im Jahre 2010/11 wird Französisch als 2. Fremdsprache durch Spanisch abgelöst.

· Ab 2009 wurde an einer Änderung der Struktur des Schulvereins und der Verwaltung gearbeitet und anschließend die Konferenz- und Selbstverwaltungsstruktur neu gestaltet.

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Hier können Sie sich die Festschrift, die zum 40-jährigen Bestehen der Schule entstand, ansehen oder downloaden: Festschrift.pdf